Veranstaltung: | Landesparteitag |
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Tagesordnungspunkt: | 1. Wahl der Landesliste zur Landtagswahl |
Antragsteller*in: | Gazi Freitag (KV Kiel) |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 03.12.2021, 23:58 |
LL 12 GF: Gazi Freitag
Selbstvorstellung
Ihr lieben Menschen,
wir stehen in Deutschland und in Schleswig-Holstein vor großen Herausforderungen. Das behaupten wir vor jeder Wahl und leiten damit auch nahezu jeden Wahlkampf ein. Die Pandemie – oder vielmehr der Versuch der Pandemiebewältigung – der letzte zwei Jahre hat uns aber schonungslos offengelegt, wo unser System krankt, wo wir von unserer Gesellschaft Veränderungen erwarten, die eigentlich die Politik übernehmen müsste, wo unser politisches Handeln an seine Grenzen stößt, wo wir dringend etwas verbessern müssen und vor allem, dass wir viele Menschen gar nicht mehr erreichen. Auch das haben wir schon mehrmals gesagt, aber es ändert sich – zumindest in den mir wichtigen Bereichen – nicht so viel in dem Tempo, wie wir es benötigen, um dem Anspruch gerecht zu werden.
Wir müssen sowohl unsere politischen Handlungs- und Entscheidungsmöglichkeiten wie auch unsere Gesellschaft krisenfest machen. Denn die Herausforderungen, die wir jetzt und in Zukunft zu bewältigen haben, schaffen wir nur gemeinsam.
Es ist deswegen für mich die oberste Priorität, dass wir die Menschen hinter unsere politischen Entscheidungen bekommen und wieder ein Gefühl des Zusammenhalts entstehen lassen. Die Menschen müssen uns das Vertrauen schenken, in ihrem Interesse zu handeln und die richtigen Entscheidungen zu treffen.
Wir brauchen die Unterstützung der Menschen, auch mal unbeliebte Entscheidungen – und davon wird es in Zukunft einige geben – treffen zu können. Es darf und soll dann natürlich auch Kritik geben, aus der politischen Opposition oder natürlich auch aus der Gesellschaft heraus. Diese darf aber niemals in Misstrauen, in einem Absprechen jeglicher Kompetenz und am Ende in einer strikten Ablehnung von politischen und wissenschaftlichen Autoritäten enden – so wie es zuletzt viel zu oft der Fall war.
Wir brauchen für die großen Herausforderungen der Gegenwart und der Zukunft eine zusammenhaltende Gesellschaft, die uns vertraut, dass wir die richtigen Entscheidungen treffen. Doch diesen Zusammenhalt erreichen wir nur, wenn alle Menschen das Gefühl haben, gleichwertige und gleichwürdige Mitglieder dieser Gesellschaft zu sein und dass wir ihre Lebensrealitäten mitdenken. Und da kann unser Wahlprogramm nur bedingt helfen. Denn, wenn wir ehrlich sind, werden Parteien in erster Linie wegen der Menschen gewählt, die sie zur Wahl stellen. Es sind die Menschen, die wir auf die Liste wählen, die wir auf die Podien stellen, die wir sichtbar machen, die eine Repräsentanz bei den Bürger*innen erzeugen.
Es muss deswegen unser Ziel sein, mit unserem politischen Angebot – und das ist die Kombination von Menschen und Programm –, möglichst viele Lebensrealitäten darzustellen. Denn es wird ungleich schwerer, Zuspruch für unsere Politik zu bekommen, wenn die Menschen zwar das Gefühl haben, dass wir FÜR sie Politik machen, aber nicht MIT ihnen. Es reicht dabei nicht aus, für jedes Milieu nur ein bisschen Politik zu machen und es mit ein paar Zeilen im Wahlprogramm zu erwähnen. Hier ein kleines Versprechen für die ältere Generation, hier eines für die jüngere, dort eines für die finanzschwachen, hier eines für die Mütter, dort eines für Menschen mit Flucht- und Migrationserfahrungen. Wir müssen Menschen in die Politik bringen, die unterschiedliche Lebensrealitäten erfahren haben, weil das automatisch auch eine andere Perspektive auf politische Entscheidungen bringt. Es erzeugt ein anderes Verständnis, wenn ich an einer Kampagne gegen Gewalt an Frauen mitmache, weil ich selbst väterliche Gewalt und Misshandlung erlebt habe. Es erzeugt ein anderes Verständnis, wenn ich mit Betroffenen von häuslicher Gewalt und/oder ihre Situation im Frauenhaus spreche, weil ich selbst fast ein Jahr mit meiner Mutter und meiner Schwester auf 9qm in einem Frauenhaus gelebt habe. Es erzeugt ein anderes Verständnis, wenn ich über fehlende Teilhabe von finanzschwachen Menschen rede, weil ich in meiner Jugend selbst lange Zeit von Sozialhilfe leben musste und die einzige warme Mahlzeit am Tag nur bekommen habe, weil meine Mutter in einer Konservendosenfabrik arbeitete. Es erzeugt ein anderes Verständnis, wenn ich über strukturelle Diskriminierung und Rassismuserfahrungen spreche und mein Mitgefühl ausspreche, wenn ich selbst davon betroffen bin und wirklich mitfühlen kann. Erfahrungen können keine Expertise ersetzen, können aber auch nicht durch Expertise ersetzt werden.
Ich möchte eine Politik des Dialogs leben, in der wir uns die Probleme und Aufgaben direkt von den Menschen abholen und ihnen das Gefühl geben, dass wir uns um sie kümmern, ohne paternalistisch zu sein und diese dann in unsere Regierungsarbeit übertragen. Wir Grüne sind nicht nur Öko-, Bündnis- oder Klimaschutzpartei. Wir können auch Kümmerer-Partei. Wir brauchen ein Zusammenwirken von vielfältigen Lebensrealitäten, um die Anforderungen an unsere Politik aus ebenso vielfältigen Perspektiven betrachten und bewerten zu können. Daraus gewinnen wir die politische und gesellschaftliche Stärke, die uns die kommenden Herausforderungen bewältigen lässt oder uns zumindest auf einen guten Weg dorthin bringt.
Genau deswegen müssen wir den Zusammenhalt der Gesellschaft und das Abbilden all ihrer unterschiedlichen Lebensrealitäten zu einem großen Querschnittsthema machen, aus den einzelnen Ministerien herausholen und in einem eigenen Ministerium bündeln. Deswegen fordere ich, auch als Ergebnis meiner Arbeit im Bundesdiversitätsrat und der Rücksprache mit vielen anderen Landesverbänden, die vor ähnlichen Herausforderungen stehen, die Einführung bzw. Gründung eines Ministeriums für gesellschaftlichen Zusammenhalt, Integration, Vielfalt & Teilhabe. Denn das bedeutet einen eigenen Etat, mehr Ressourcen, mehr Handlungsspielraum, mehr Wirkungsmacht und – und das ist letztendlich das Wichtigste – setzt ein klares Zeichen, dass wir als Grüne uns wirklich für die gesamte Gesellschaft und die Belange aller, die an dieser Gesellschaft partizipieren wollen, einsetzen.
Wenn das noch nicht in der kommenden Legislatur klappen sollte, dann werde ich als Abgeordneter meine Energie dafür einsetzen, dass es spätestens in der dann folgenden Legislatur klappt. Ich würde mich freuen, wenn Ihr diesen Schwerpunkt mit mir teilt, mir zutraut, dieses Ziel zu erreichen und mich deswegen zu einem Mitglied der kommenden Landtagsfraktion werden lasst.
Vielen Dank für’s Lesen bis hierhin
Mit allerbesten Grüßen
Gazi
- Alter:
- 41
- Geschlecht:
- männlich
- Geburtsort:
- Bad Oeynhausen (NRW)